Am 25. September steht für den Tessiner Arbeitsmarkt viel auf dem Spiel. Das Stimmvolk befindet über zwei Volksinitiativen und je einen Gegenvorschlag dazu: Eine Initiative heisst «Basta con il dumping salariale!» (Schluss mit Lohndumping!), die andere «Prima i nostri» (Zuerst die Unsrigen).
Die erste Initiative wurde vom Movimento per il Socialismo (Bewegung für den Sozialismus) lanciert und fordert die Einführung eines invasiven Systems von Lohnkontrollen: Jeder geltende und neue Arbeitsvertrag müsste einem kantonalen Amt gemeldet werden, mit sehr detaillierten Angaben (Art der Anstellung, Dauer, Funktion, erforderliche Qualifizierung, Arbeitsort, wöchentliche Arbeitszeit, Entlöhnung, Geschlecht, Alter, Nationalität, Wohnort). Der Kanton würde dann jedes Jahr gestützt auf diese Angaben eine Lohnstatistik veröffentlichen. Bei Unregelmässigkeiten würden die betroffenen Arbeitgebenden den zuständigen Behörden gemeldet. Zudem käme vom Kanton pro 5000 Stellen ein Arbeitsinspektor zum Einsatz (Kostenpunkt laut den Initianten sechs Millionen Franken jährlich, laut der Regierung zehn Millionen). Die zweite, von der SVP lancierte Initiative verlangt die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative auf Kantonsebene und damit den Schutz des Tessiner Arbeitsmarktes und de facto die Aufhebung der Personenfreizügigkeit (Vorrang einheimischer Arbeitnehmender sowie Verbot der Kündigung Ansässiger zugunsten von nicht ansässigen Arbeitnehmenden).
Die beiden Gegenvorschläge des Parlaments sehen unverbindliche und allgemeinere Bestimmungen vor. Doch so wie heute der Wind weht, darf die Gefahr, dass wenigstens eine oder gar beide Initiativen angenommen werden, nicht unterschätzt werden. In diesem Fall wäre der Tessiner Arbeitsmarkt überreglementiert und würde sich einigeln. Für die Unternehmen würde die erste Initiative erheblichen bürokratischen Mehraufwand bedeuten. Und für die Angestellten wäre der Schutz sensibler Daten, wie der Höhe des Lohns, nicht mehr gewährleistet: Schon heute sickern oft Informationen auch aus staatlichen Einrichtungen nach aussen. Es käme zu Umwälzungen bei den Rahmenbedingungen für die Unternehmen.
Was wären die Folgen? Niemand besitzt eine Kristallkugel. Doch Vernunft und Erfahrung lehren uns, dass eine solche Abschottung und Überregulierung nicht die Lohnempfänger schützt – sondern die unternehmerischen Aktivitäten erstickt. Dem Grenzkanton drohen der Verlust vieler Chancen und hohe wirtschaftliche Einbussen.

Marina Masoni / Articolo apparso sulla NZZ am Sonntag il 18 settembre 2016

Scarica l’articolo

Pubblicato il: 23/09/2016