Die Fussball-EM ist angepfiffen. Wir feuern unsere Nati an und hoffen, dass Lichtsteiner, Behrami, Shaqiri, Embolo und unser ganzes Team weit kommen werden. Unsere Nati ist schon längst multikulturell. Eine Mannschaft aus Spielern mit ausländischen Wurzeln, die durch gemeinsame Werte verbunden sind, ist für jene Fans, die den Fussball vorurteilslos und aus Liebe zum Sport verfolgen, kein Problem. Doch jüngst versuchte sich jemand als Spielverderber. Die Zeitung «Blick» zeigte mit dem Finger auf Nationaltrainer Vladimir Petkovic, weil er an Pressekonferenzen nur noch Italienisch spricht. Die Zeitung behauptete: «Petkovic kann nur Sympathien gewinnen, wenn er Deutsch spricht.»
Vielen Tessinern ist dieser Artikel sauer aufgestossen. Sind wir ein föderalistisches Land oder nicht? Sind wir eine Willensnation, die verschiedene Kulturen und Sprachen im gegenseitigen Respekt unter einem Dach vereint oder nicht? Gehört Italienisch zu den Landessprachen wie Deutsch, Französisch und Rätoromanisch oder nicht? Ist Italienisch eine Amtssprache oder nicht?
Natürlich ist Italienisch eine Landessprache! So will es die Bundesverfassung, so lehrt unsere Geschichte. Wie ist es also möglich, dass die meistverkaufte Zeitung der Schweiz so wenig Sympathie für das Italienische zeigt? Ihre Begründung: «63,3 Prozent der Menschen in diesem Land sprechen Deutsch, 22,7 Prozent Französisch und 8,1 Prozent Italienisch. Und dann gibt es noch die Rätoromanen.»
Das stimmt. Aber: Die Macht der Zahlen ist nicht das Mass für Sympathie. Im Gegenteil, dies klingt eher anmassend. Wenn die italienischen, die welschen und die rätoromanischen Schweizer auf dem gleichen Niveau diskutieren würden, könnten sie argumentieren, die Mehrheit der Deutschschweizer spreche nicht die Sprache Goethes, sondern Schwiizertüütsch. Vladimir Petkovic den abtretenden Bayern-Trainer Pep Guardiola vorzuhalten, weil dieser für seinen Posten in München rasch Deutsch gelernt hat, ist verfehlt. Die Schweiz ist nicht Deutschland, das eine einzige Landessprache hat.
Die Schweizer Nati ist ein Beispiel für den Zusammenhalt und die Einheit in der Verschiedenheit. Diese Schlagzeilen des «Blicks» sind genau das Gegenteil davon. Wir brauchen weder im Sport noch sonst wo Sprachkonflikte herbeizureden, welche die Minderheiten beleidigen. Der Artikel ist am 1. Juni erschienen, am selben Tag, als die Schweiz und Europa gemeinsam die Eröffnung des Gotthardbasistunnels gefeiert haben. Eine Entgleisung erster Güte.
Allez Suisse! Hopp Schwiiz! Forza Svizzera! Hopp Svizra! Dürfen wir das überhaupt noch sagen? Aus dem Tessin von Herzen.

Marina Masoni / Articolo apparso sulla NZZ am Sonntag il 12 giugno 2016

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Pubblicato il: 17/06/2016