Kaum sind die Ständeratswahlen überstanden, bereitet sich das Tessin auf die Kommunalwahlen vom April 2016 vor. Besonders für die FDP werden diese zur Feuerprobe. Bis zur vorletzten Legislatur dominierte die FDP in den vier wichtigsten Tessiner Städten: in der Wirtschaftsstadt Lugano, der politischen Hauptstadt Bellinzona, der Filmstadt Locarno und der Grenzstadt Chiasso. Jahrzehntelang stellte die FDP die vier Stadtpräsidenten und verfügte über solide Mehrheiten. Dann bröckelte es.
Zuerst wurde Bellinzona erschüttert. Als sich die dortige FDP spaltete, konnte die Bürgerbewegung Il Noce 2008 das Amt des Stadtpräsidenten erobern. Vier Jahre später hoffte die FDP auf eine Revanche, wurde von den Sozialisten jedoch übertrumpft. In Locarno und Chiasso gewann die FDP 2012 noch problemlos. In Lugano wurde wegen Gemeindefusionen ein Jahr später gewählt, und Marco Borradori, der Regierungsrat der Lega, schlug dabei den langjährigen FDP-Stadtpräsidenten Giorgio Giudici. Heute dominiert die Lega in der Wirtschaftsstadt, wo im zweiten Ständeratswahlgang Battista Ghiggia, der Kandidat der Lega, den bisherigen FDP-Ständerat Fabio Abate um rund 2000 Stimmen schlug.
Was wird in fünf Monaten geschehen? Bellinzona wählt wegen der Gemeindefusion erst 2017. Das Stadtpräsidium dort wird also noch mindestens ein Jahr länger sozialistisch bleiben. In Lugano wird die FDP höchstens träumen können. Und in Locarno und Chiasso steht sie auf sehr dünnem Eis. Weder die Alt-Stadtpräsidentin von Locarno und Vizepräsidentin der FDP Schweiz, Carla Speziali, die im Juni zurückgetreten ist, noch der bisherige Stadtpräsident von Chiasso, Moreno Colombo, stellen sich zur Wiederwahl. Ohne diese beiden sehr unterschiedlichen, aber sehr populären Persönlichkeiten scheint die FDP kaum zugkräftige Namen zu haben. In Chiasso visiert vielmehr die Lega-Nationalrätin Roberta Pantani das Stadtpräsidium an, während in Locarno die CVP den Präsidenten der Radio- und Fernsehgesellschaft und Alt-Regierungsrat Luigi Pedrazzini portieren will.
Wird die FDP bald keiner Tessiner Stadt mehr vorstehen? Dieses Szenario ist nicht auszuschliessen. Es wäre ein harter Schlag für den Freisinn. Die FDP hat sich ihre Stärke und Glaubwürdigkeit vorwiegend in den Städten erworben und dort gezeigt, dass sie an liberalen Grundsätzen orientierte Lösungen für die Probleme des Landes und die Anliegen der Bevölkerung umsetzen kann. Fiele diese Basis weg, käme dem Liberalismus in den nächsten Jahren wohl kaum mehr denn eine Statistenrolle zu.
Marina Masoni / articolo apparso sulla NZZ am Sonntag il 29 novembre 2015
Pubblicato il: 04/12/2015